Samstag, 12. Dezember 2015

Der verschwundene Anästhesist



Montagvormittag, Saal drei im Zentral OP. Es ist einer meiner ersten Einsätze als Freiberuflerin.
Bisher hat alles gut geklappt. Peter, mein Anästhesist, ist im dritten Jahr der Facharztweiterbildung und ganz umgänglich.

Gerade haben wir einen 62-jährigen Patienten eingeleitet, es ist eine offene beidseitige Leistenbruch OP vorgesehen. Während das OP Team mit abwaschen, abdecken und Team-Time-Out beschäftigt ist, räume ich meine Utensilien auf.

Mit dem benutzten Spatel und Führungsstab in der rechten und diversem Altglas in der linken Hand stehe ich an der der Tür und warte den OP Beginn ab. Peter tänzelt auf mich zu. "Du Maja, ich geh mal schnell eine rauchen." Ich schaue ihn überrascht an. "Wo willst du denn hier eine rauchen?" "Na unten im Hof, wie immer."

Wir sind in der vierten Etage, Rufweite kann man das wohl nicht nennen. "Also Doktor, das geht nicht. Ich bin den ersten Tag hier und damit noch handlungseingeschränkt."  Mein Einwand beeindruckt ihn nicht. "Ach komm, sind doch nur ein paar Minuten. Deine Kollegen haben nie etwas dagegen." Nun stampft der Operateur mit dem Fuß auf. "Samma, habt ihr es endlich da vorne? Die Tür zu und Ruhe wär janz schön."

Na Toll! Ich will auch Ruhe und keinen Streit. "OK, welches Telefon haste einstecken?" Peter schaut mich belustigt an. "Telefone am Mann haben hier nur die Oberärzte und der Chef, aber ich hab einen Pieper mit. Du musst 13267618 wählen, dann die Apparatnummer, von der du anrufst, und dann 00 für gleich kommen oder 01 für Rückruf." Ungläubig starre ich ihn an! Er grinst und geht.

"Anästhesiiiie! Bitte den Tisch erhöhen und neigen!" meldet sich der Operateur. "Nach rechts oder links neigen?" frage ich während der Tisch hochfährt. "Immer gen Süden neigen." Ich schaue ihn an. Jemand  kichert verhalten, irgendwo gluckst es. Wo soll hier Süden sein? Auch er schaut mich an. "Gestatten, mein Name ist Syden. Hätten sie sich vorgestellt, hätten wir das auch getan, dann hätten sie gewusst, wohin der Tisch geneigt wird." Ich steh da wie ein kleines Mädchen mit knallroten Ohren. Das sollte mir nie wieder passieren!
Der Patient bekommt noch etwas Opiat und eine neue Infusion. Vital-und Beatmungswerte sind stabil. Ich führe das Narkoseprotokoll. Mein lieber Doktor hat noch nix geschrieben.
Dr.Syden schnauft. "Schwester Maja, können sie mal gucken, ich hab da was am Bein. Und können sie mal ne Weile das Heizdingens ausmachen, ich hab ganz heiße Eier." Ich schalte die Wärme aus – gebratene Eier in Saal drei geht natürlich nicht! Unter den Tüchern suche ich sein Bein. Er quiekt. "Das ist nicht mein Bein, Mensch! Ich stoße mit dem Knie immer irgendwo gegen!" Aha, der Armausleger! Hatte er den nicht selbst in Position gebracht? Na egal. Im Dunkeln, zwischen vielen Kabeln, ziehe ich die Armstütze weiter nach außen.

Wieder aufgetaucht fällt mein Blick auf die Uhr. Was ist denn eigentlich mit meinem Doktor? Der ist jetzt seit 40 Minuten weg. Raucht er in Zeitlupe oder eine ganze Schachtel? Ich bitte den OP Springer ihn anzufunken. Mürrisch kommt er der Bitte nach. Sogar nach zehn Minuten noch einmal. Keine Reaktion. Auch Dr.Syden bemerkt nun den Verlust. "Sagen sie mal, wo ist denn ihr Anästhesist? Auf dem Klo kollabiert?" "Ich gehe nicht aufs Männerklo"

In dem Moment erscheint einer der anästhesiologischen Oberärzte. "Schwester Maja, ist hier alles in Ordnung? Ah ja, ich sehe schon, sie haben alles im Griff. Ach übrigens, Peter kommt erst mal nicht wieder. Der ist mit einem verstauchten Knöchel in der Notaufnahme. Wenn sie ausleiten wollen, rufen sie mich an, 1050. Ich muss weiter." Und schon ist er raus.

Unwillkürlich muss ich an einen alten Witz denken: Zwei Chirurgen finden einen zusammengebrochenen Anästhesisten. "Komm, wir stecken ihm die Hände in die Taschen, dann siehts aus wie ein Arbeitsunfall."

Zum Ausleiten kommt dann nicht jener Oberarzt, sondern Frau Dr.Rammbock. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, rauscht sie in den Saal. Gas aus, Flow hoch und Tuch runter! Verärgert richtet sich Dr.Syden auf. Seine Assistentin versucht sich gerade mühsam an der Naht. "Frau Kollegin, wir sind noch nicht fertig!" Laut und bestimmt kommt die Antwort: "Na dann beeilen sie sich mal. Der Patient wird demnächst wach." Der Chirurg scheint solche Szenen zu kennen. Er übernimmt das Zunähen. Mit dem letzten Stich erfolgt die Extubation. "Na bitte, geht doch." murmelt die Oberärztin.


Nachdem ich gefragt werde, ob ich etwas länger bleiben könnte, geht mein erster Tag hier um 18:00 Uhr zu Ende. Mit gemischten Gefühlen blicke ich den kommenden Wochen entgegen.

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